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Spekulationsgeschäfte So funktioniert die Milliarden-Zockerei

Spekulanten wetten auf den Absturz des Euro, bringen Staaten an den Rande des Ruins. Doch wie mächtig sind die Finanzhaie wirklich? SPIEGEL ONLINE erklärt ihr Vorgehen und schätzt das Risiko ein.
Wall-Street-Händler: Der Spekulant, das unbekannte Wesen

Wall-Street-Händler: Der Spekulant, das unbekannte Wesen

Foto: Richard Drew/ AP

Hamburg - Im griechischen Schuldendrama spielt ein seltsames Wesen eine wichtige Rolle: der Spekulant. Er steht für das Chaos, für die Negativ-Faszination des Fremden. Er ist ein Phantom, ein Feind, den das Publikum kaum kennt. Bedrohlich, aber merkwürdig konturlos. Archetypisch gierig und offenbar sehr, sehr mächtig.

Das zumindest suggeriert die Szenerie, die den Spekulanten umgibt: Man sieht die bröckelnde Akropolis, den fallenden Euro-Kurs, Diagramme, auf denen Zinskurven für Staatsschulden in die Höhe schnellen; und man liest dazu über den Spekulanten, der Politiker vor sich her-, Griechenlands Staatsverschuldung in die Höhe oder den Euro in den Keller treibt.

Um der Spekulanten Herr zu werden, hat die EU am Wochenende ein gigantisches Rettungspaket beschlossen. Gemeinsam mit dem IWF soll künftig ein Kreditrahmen von insgesamt 750 Milliarden Euro für klamme Mitgliedstaaten bereitstehen. Merkel sagte, dieses Paket sei notwendig, weil es eine Attacke gegen den Euro gegeben habe.

Doch wer spekuliert da? Wie geht er vor? Und sind die Zocker wirklich so unglaublich mächtig?

Gigantischer Spekulationsmarkt

Der Begriff Spekulant kommt aus dem Lateinischen (speculor: ich erspähe). Der gängigen Definition nach ist ein Spekulant ein Mensch, der auf ein Ereignis in der Zukunft wettet. Zum Beispiel auf Preisveränderungen an den Finanzmärkten, um daraus Profit zu schlagen. Jeder, der Aktien besitzt, jeder, der in Fonds investiert, tut das indirekt - über seine Bank.

Anleger geben dem Finanzhaus ihres Vertrauens ihr Geld - mit dem Auftrag, es zu vermehren. Das Finanzhaus legt das Geld beispielsweise in einen Fonds an; in diesem Fonds liegen beispielsweise griechische Staatsanleihen - oder Kreditausfallversicherungen auf griechische Staatsanleihen, sogenannte Credit Default Swaps (CDS).

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Grafik-Strecke: So zockt man mit Kreditversicherungen

Foto: SPIEGEL ONLINE

Der Spekulationsmarkt für Kreditversicherungen ist gigantisch groß. Die US-Datensammelstelle Depository Trust & Clearing Corporation (DTCC) schätzt den Markt auf 22 Billionen Dollar . Sie erfasst nach eigenen Angaben fast alle CDS-Geschäfte, die weltweit abgewickelt werden, und ist eine wichtige Quelle für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Die DTCC macht auch Angaben darüber, wer die größten Akteure des CDS-Markts sind . Rund 19,2 Billionen Dollar werden demnach von sogenannten "Dealern" gehandelt. Damit sind vor allem die 14 großen Investmentbanken gemeint, US-Häuser wie JP Morgan   und Goldman Sachs   oder die Deutsche Bank  . Rund drei Billionen Dollar handeln sogenannte "Non Dealer". Zu diesen zählen Hedgefonds, aber auch Unternehmen, die Investitionen absichern.

Der CDS-Markt scheint also recht konzentriert zu sein. Der Eindruck könnte aber auch täuschen. Schließlich wickeln Großbanken auch Geschäfte für Hedgefonds und Unternehmen ab, die aber werden in der DTCC-Statistik nicht gesondert ausgewiesen. Zudem machen die US-Großbanken gegenüber deutschen Behörden kaum Angaben zu ihren CDS-Geschäften. So hat die Bundesbank von DTCC eine Liste mit den Transaktionen angefordert, an denen deutsche Institute beteiligt sind, bislang aber keine Daten erhalten. "Transparenz ist das größte Problem des CDS-Markts", sagt eine BaFin-Sprecherin.

Keine ausufernden Spekulationen mit Griechenland-CDS

Eines jedoch lässt sich aus den öffentlich zugänglichen Daten ablesen: Der Handel mit Kreditversicherungen auf griechische Staatsanleihen hat in den vergangenen Monaten zwar zugenommen - von einer ausufernden Spekulation kann aber keine Rede sein.

Das zeigt das Nettovolumen der laufenden Credit Default Swaps. Laut DTCC wurden Anfang Mai Kreditversicherungen für griechische Staatsanleihen in Höhe von gut acht Milliarden Dollar am Markt gehandelt . Griechenlands Gesamtschulden belaufen sich jedoch auf gut 270 Milliarden Euro, und allein in diesem Jahr muss die Regierung in Athen Staatsschulden in Höhe von rund 15,8 Milliarden Euro refinanzieren.

Grafik: Wann muss Griechenland wie viel Schulden refinanzieren?

Grafik: Wann muss Griechenland wie viel Schulden refinanzieren?

Foto: SPIEGEL ONLINE

Die überwiegende Mehrheit der Anleger hat also keinen CDS-Schutz für die eigenen Griechen-Anleihen. Und die Höhe der Absicherung ist seit langem vergleichsweise konstant. Anfang April wurden der DTCC zufolge Kreditversicherungen in Höhe von 8,4 Milliarden Dollar gehandelt; Anfang Mai 2009 waren es 7,7 Milliarden.

Fast verdoppelt hat sich dagegen der Handel mit den vorhandenen Griechen-CDS. Im Mai 2009 betrug das Umsatzvolumen rund 44 Milliarden, im Mai 2010 waren es gut 78,6 Milliarden. "Diese Entwicklung deutet schon auf gesteigerte Unruhe im Markt hin", sagt Jeffrey Trester, früherer Fed-Berater und enger Beobachter des CDS-Markts . "Sowohl die Umsatz- als auch die Nettovolumina liegen allerdings nur leicht über dem europäischen Durchschnitt. Sie reichen bei weitem nicht aus, um den Markt mit griechischen Anleihen zu manipulieren."

Das sieht auch der Bankenprofessor Hans-Peter Burghof so: "Es ist äußerst schwierig für Spekulanten, den Markt für griechische Staatsanleihen zu manipulieren", sagt der Experte von der Universität Hohenheim. "Sobald einige Player auf die Pleite Griechenlands wetten, gehen andere Player eine Gegenposition ein - in der Erwartung, dass der Markt stabil bleibt."

Trester zufolge sind die Preise für CDS und die Zinsen für griechische Staatsanleihen denn auch nicht durch Spekulationen in die Höhe getrieben worden, sondern durch reale Entwicklungen. "Zweifel an der Wirksamkeit der griechischen Sparmaßnahmen, die unentschlossene Krisenpolitik der EU, Tote bei Streiks in Athen - solche Ereignisse sind es, die die Märkte im großen Stil beeinflussen", sagt er. "Dass mehr CDS hin- und hergeschoben werden, ist die Folge dieser Entwicklungen - nicht die Ursache."

Spekulationswelle auf den Euro-Kurs

Auch die BaFin gibt an, dass sich die Spekulationen mit Kreditversicherungen für Griechen-Anleihen in Grenzen halten. An anderer Stelle dagegen steige die Zockeraktivität. Spekulanten führten derzeit einen "Angriffskrieg" auf den Euro-Wechselkurs, sagte Behördenchef Jochen Sanio am Mittwoch im Haushaltsausschuss des Bundestags.

Das "Wall Street Journal" hatte bereits im Februar vor einem geplanten Angriff auf die Gemeinschaftswährung gewarnt. Demzufolge hätten Hedgefonds wie SAC Capital Advisors, Soros Fund Management, Greenlight Capital und Brigade Capital Anfang Februar bei einem Abendessen beschlossen, auf einen fallenden Euro zu wetten. Es handelt sich dabei um sehr mächtige Player: Manche von ihnen verwalten viele Milliarden Dollar Kapital, sie leihen sich obendrein zusätzliches Geld - die Summe, mit der sie am Markt zocken, ist zum Teil zwanzig Mal so hoch wie ihr Eigenkapital. Genaue Angaben über ihre Investitionen gibt es nicht: Hedgefonds müssen nur sehr wenige Informationen veröffentlichen.

Belege für eine erhöhte Spekulation auf den Euro liefert unter anderem die Commodity Futures Trading Commission (CFTC), eine unabhängige US-Behörde, die Amerikas Future- und Optionsmärkte reguliert. Auf ihrer Web-Seite veröffentlicht sie Daten  über den Handel an der Chicagoer Börse CME, an der unter anderem Rohstoffe und Währungsderivate gehandelt werden.

Nun macht der Handel an der CME nur einen Bruchteil des Gesamthandels aus - dennoch gilt er als Indikator für Trends auf dem Devisenmarkt. Laut CFTC hat der Handel mit sogenannten non commercial shorts stark zugenommen. Das sind Papiere, die eine gewisse Euro-Summe abbilden - und mit denen Finanzmarktteilnehmer am Markt spekulieren können. Anfang Dezember wurden rund 44 Millionen dieser Kontrakte gehandelt, Ende April 2010 waren es mehr als 120 Millionen.

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Grafik-Strecke: Wie Wechselkurs-Spekulationen funktionieren

Foto: SPIEGEL ONLINE

Tatsächlich dürften aber auch am Euro-Absturz bei weitem nicht nur die Spekulanten schuld sein. "Nach dem Lehman-Crash galt der Euro lange als sicherer Hafen", sagt Trester. "Zentralbanken haben sich weltweit damit vollgesogen. Jetzt wird Europa von einer zweiten Welle der Finanzkrise überrollt, und die Währung ist stark belastet." Viele Zentralbanken dürften ihre Euro-Reserven entsprechend anpassen. "Und im Gegensatz zu Hedgefonds haben staatliche Notenbanken eine viel größere Macht, Wechselkurse zu beeinflussen."