Kicker-Erholung Österreicher setzen als Geheimwaffe Höhenluft ein
Die Probleme von Ümit Korkmaz traten immer wieder auf. Drei Muskelverhärtungen binnen kurzer Zeit hatte der österreichische Fußball-Nationalspieler von Rapid Wien zu verarbeiten. Für ihn bedeutete das ständig neue Trainings- und Spielpausen. Korkmaz war bereit für andere Wege. "Wir haben ihm Massagen in der Höhenkammer angeboten", sagt Herbert Kernreuter. Er ist Geschäftsführer des österreichischen Vertriebspartners der Höhenbalance AG aus Köln, die seit einigen Jahren solche Kammern anbietet. Korkmaz hat das Angebot ausprobiert. Seine Prognose habe vor der Behandlung bei acht bis neun Tagen Trainingspause gelegen, sagt Kernreuter. "Einige Massagen später stand er schon wieder auf dem Platz."
Auch andere Spieler aus dem Rapid-Kader testeten die Höhenkammer. Mit durchweg positiven Erfahrungen, wie Kernreuter versichert. Markus Katzer stieg sogar nur drei Monate nach seinem Kreuzbandriss wieder ins Training ein. Nun will auch die österreichische Nationalmannschaft bei der EM von der Kammer als Regenerationshilfe profitieren. Dafür wurde eigens ein ehemaliger Formel-1-Truck umgebaut. "Darin simulieren wir Höhen zwischen 2300 und 2700 Metern", sagt Kernreuter.
Generatoren entziehen der Luft in dem gut 60 Quadratmeter großen Raum Sauerstoff. Bei 14,9 Prozent Sauerstoffgehalt lassen sich die Kicker dann massieren oder ruhen sich auf entsprechend bequemen Stühlen einfach aus. Der normale Sauerstoffgehalt der Luft liegt bei 20,9 Prozent. An den Druckverhältnissen oder der Temperatur ändert sich nichts. Negative Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen oder Übelkeit, die in realen Höhen häufig auftreten, können so ausgeschlossen werden.
Die Atmung wird intensiviert
Der positive Einfluss von Höhentraining auf die Ausdauerleistung ist längst unumstritten. Dafür nehmen viele Sportler jedes Jahr wochenlange Trainingslager in bestimmten Höhenregionen in Kauf. Noch recht neu ist dagegen der Einsatz in der Regeneration im Fußball. Rapid Wien brüstet sich auf seiner Homepage sogar damit, weltweit der erste Club zu sein, der auf diese Methode setzt.
Ganz so weit würde Oliver Henneke, Marketingleiter der Höhenbalance AG in Köln, nicht gehen. Einige Vereine in England setzten schon länger Höhenluft ein, sagt er. Allerdings arbeiteten diese bisher meist nicht mit einer Kammer. Stattdessen lassen sie ihre Spieler unter einem entsprechenden Zelt schlafen.
Bei allen Maßnahmen greift das gleiche Prinzip. Der Körper reagiert auf das verminderte Angebot von Sauerstoff immer recht unmittelbar. Die Atmung wird intensiviert, das Herz-Kreislaufsystem arbeitet stärker. "Relativ schnell steigert der Körper außerdem die Produktion von roten Blutkörperchen", sagt die Diplom-Sportwissenschaftlerin Uta Oehl. Die Geschäftsführerin des Essener Unternehmens "Bewegungsfelder - Zentrum für Höhe, Prävention und Training" hat viele Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet. Durch die erhöhte Produktion von roten Blutkörperchen steigere sich auch die Sauerstofftransportkapazität, sagt sie.
"Das geht im Fußball jetzt richtig los"
Das kommt nicht nur Ausdauerathleten im Training zugute. Nach intensiven Belastungen führe die Höhenluft zu einem erhöhten Stoffwechsel. "Dadurch werden auch die anfallenden Abfallprodukte des Stoffwechsels schneller abtransportiert", sagt Oehl. Nach Verletzungen beschleunige die bessere Blutversorgung den Zellaufbau. Außerdem könnten Sportler trotz geringer Belastung ihr Herz-Kreislauf-System und den Stoffwechsel effektiv trainieren.
Und noch etwas haben Oehl und ihre Mitarbeiter festgestellt: "Physiotherapeuten können unter Höheneinfluss wesentlich besser mit der Muskulatur arbeiten." Eine Beobachtung, die man unabhängig davon auch in Österreich gemacht hat. "Übereinstimmend haben uns alle Physiotherapeuten erklärt, dass sie bei gleichem Druck nach etwa 20 Minuten in der Höhenkammer wesentlich tiefere Regionen erreichen", sagt Kernreuter.
Genau von diesem regenerativen Effekten wollen Österreichs Nationalkicker nun bei der EM profitieren. Kernreuter ist davon überzeugt, dass die Höhenkammer nach der EM ihren Siegeszug durch die europäischen Clubs antreten wird. "Das geht im Fußball jetzt richtig los", sagt er. Kernreuter wäre allerdings auch ein schlechter Verkäufer, wenn er nicht fest an sein Produkt glauben würde.
Sein Kölner Kollege Henneke berichtet von mehreren Anfragen aus der Bundesliga, die ihm angeblich vorliegen. Mit einigen seien sogar schon intensivere Gespräche geführt worden. Dabei gibt es trotz aller Begeisterung in Österreich für den regenerativen Effekt der Höhenluft bisher keine verlässlichen Studien. "Aber wir haben großes Interesse daran, eine solche Studie bald durchzuführen", sagt Sportwissenschaftlerin Oehl.
Ein wenig Skepsis bleibt also. Das wurde auch an der Äußerung des österreichischen Teamchefs Josef Hickersberger bei der Präsentation des Trucks Mitte Mai deutlich: "Es ist Hightech pur! Wir haben das Modernste, was am Markt üblich ist. Der Rest ist Phantasie, aber ich glaube, wenn wir den anderen in der Vorbereitung alles nachmachen, werden wir nichts Neues und vielleicht keine Überraschung haben." Und für die Überraschung würde die österreichische Nationalelf bei der EM nur zu gerne sorgen. Rapid Wien ist mit der Höhenkammer jedenfalls österreichischer Meister geworden.