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Schlampereien in Fukushima 1 Regierung demonstriert Normalität

Von Entwarnung kann in Fukushima noch immer keine Rede sein.

Von Entwarnung kann in Fukushima noch immer keine Rede sein.

(Foto: REUTERS)

Die Situation im havarierten Unglücksreaktor Fukushima 1 ist katastrophal - und ständig kommen neue Schlampereien des Betreibers ans Licht. Offenbar sind viele Arbeiter schlecht geschützt, außerdem werden schon wieder falsche Messwerte veröffentlicht. Doch die Regierung legt die blaue Krisenkleidung ab, um zu zeigen, dass die Zeit des Wiederaufbaus gekommen ist.

Kan ist wieder im Anzug, aber die schlechten Nachrichten sind immer noch die gleichen.

Kan ist wieder im Anzug, aber die schlechten Nachrichten sind immer noch die gleichen.

(Foto: REUTERS)

Drei Wochen nach Beginn des Atomdesasters in Japan bemüht sich die Regierung, Zeichen der Zuversicht zu senden. Statt im blauen Overall der Rettungskräfte trat Regierungssprecher Yukio Edano wieder im eleganten dunkelgrauen Anzug vor die Presse. "Wir wollten zeigen, dass die Regierung nun auch in die Zukunft blickt. Deshalb haben wir diese Jacken ausgezogen." Die Kabinettsmitglieder hatten seit dem Beben vom 11. März die gleiche Arbeitskluft getragen wie die Helfer im Erdbebengebiet. Es sei "Zeit für die Regierung, die nächsten Schritte in Richtung Wiederaufbau zu machen", sagte Edano.

Es sei aber immer noch nicht abzuschätzen, wann die nukleare Krise zu Ende sein werde, sagte Regierungschef Naoto Kan. Zunächst müsse sich die Lage in dem Kraftwerk in Fukushima stabilisieren. "Wir sind auf einen langen Kampf vorbereitet", betonte Kan.

Stahlfloß wird umfunktioniert

Zum Auffangen des radioaktiven Wassers, das aus den Maschinenräumen und Reaktoren gepumpt werden muss, soll in der Kraftwerksruine nun ein riesiges Stahlfloß zum Einsatz kommen. Das 136 Meter lange und 46 Meter breite Ponton-ähnliche Becken kann bis zu 18.000 Tonnen Wasser fassen, wie Behördenvertreter sagten. Die Stadt Shimizu südwestlich von Tokio stelle Tepco das Floß zur Verfügung, das normalerweise zum Angeln dient, sagte Bürgermeister Zenkichi Kojima.

Am AKW improvisieren die Arbeiter immer wieder.

Am AKW improvisieren die Arbeiter immer wieder.

(Foto: dpa)

In Fukushima Eins kämpfen die Arbeiter weiter gegen den Super-GAU. Unter anderem sollen sie erneut Harz auf die verstrahlten Trümmer sprühen. Das Vorhaben musste am Vortag unterbrochen werden, weil es regnete. Das Kunstharz soll verhindern, dass sich der radioaktive Staub verbreitet.

Symbolische Besuche

Kan will am Samstag in die erdbebenzerstörte Stadt Rikuzentakata und in die Präfektur Fukushima reisen, in der auch das havarierte Atomkraftwerk steht. Zum AKW selbst wird er wohl nicht kommen. Bisher war Kan nur in einem Hubschrauber über die Region geflogen. Ein vor einer Woche geplanter Besuch wurde wegen schlechten Wetters abgesagt.

Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wird Japan einen Kurzbesuch abstatten. Er will in Tokio seinen japanischen Kollegen Takeaki Matsumoto treffen. Bei dem Gespräch wird Westerwelle nach Angaben des Auswärtigen Amtes die Hilfe Deutschlands bei der Bewältigung des Unglücks anbieten, das in der Atomkatastrophe von Fukushima gipfelte. Ein Besuch in den am schlimmsten betroffenen Erdbebengebieten oder in der Umgebung des Akw ist nicht geplant. Die Bundesregierung bleibt sehr besorgt über die Lage in Fukushima.

Gebiet wird aufgegeben

Das Tepco-Management muss sich zurzeit viel verbeugen.

Das Tepco-Management muss sich zurzeit viel verbeugen.

(Foto: AP)

Unterdessen wächst im Unglücksgebiet die Angst vor einer langanhaltenden Strahlenkatastrophe. Die Anwohner des havarierten Atomkraftwerks Fukushima werden möglicherweise nie wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Die Evakuierung des Katastrophengebiets sei langfristig angelegt, sagte Edano.

Um das AKW gilt bislang eine Sperrzone von 20 Kilometern, wovon mehr als 70.000 Menschen betroffen sind. Nach UN-Angaben wurden aber auch in einem Dorf 40 Kilometer von Fukushima entfernt hohe Strahlungswerte gemessen. Nach Einschätzung von Experten könnte der Boden im Unglücksgebiet über Jahrzehnte verseucht sein.

Der AKW-Betreiber werde für die Schäden zahlen müssen, betonte Ministerpräsident Kan. Eine Verstaatlichung des Konzerns strebe die Regierung zwar nicht an. Angesichts erwarteter Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe werde der Staat allerdings nicht um Finanzhilfen an das Unternehmen herumkommen. "Wir können mit Sicherheit sagen, dass Tepco am Ende zur Zahlung von Entschädigungen verpflichtet sein wird", sagte Kan auf einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. "Wir werden sie unterstützen müssen. Aber grundsätzlich würde ich gerne sehen, dass Tepco als privates Unternehmen hart weiterarbeitet."

Ein bei dem Beben zerstörter Buddha liegt im Schlamm.

Ein bei dem Beben zerstörter Buddha liegt im Schlamm.

(Foto: dpa)

In japanischen Medien war spekuliert worden, dass die Regierung die Kontrolle über den Betreiber übernehmen könnte. Der Konzern ist seit dem Unglück wegen Führungsschwäche und diverser Fehler heftig unter Beschuss geraten. Der Börsenwert des Versorgers ist seit dem Unglück um rund 80 Prozent gefallen. Analysten von Bank of America/Merril Lynch schätzen die Höhe der Entschädigungsforderungen auf mehr als 130 Milliarden Dollar.

Arbeiter schlecht geschützt

Die japanische Atomaufsichtsbehörde kritisiert die Betreibergesellschaft des beschädigten Atomkraftwerks Fukushima wegen eines mangelhaften Schutzs der vor radioaktiver Strahlung. Tepco sei aufgefordert worden, alles zu tun, um die Arbeiter vor der Strahlung zu schützen, sagt Behördensprecher Hidehiko Nishiyama. Demnach hatte Tepco die Arbeiter nach dem verheerenden Erdbeben und anschließenden Tsunami vom 11. März nicht mit genügend Strahlenmessgeräten ausgestattet.

Nach Angaben der Atomsicherheitsbehörde gingen die meisten Messgeräte verloren, als die Tsunamiwelle über das Kraftwerk hinwegrollte. Die Zahl der Messgeräte sei von ursprünglich 5000 auf 320 nach dem Tsunami zurückgegangen. Tepco habe die Arbeiter daraufhin in Teams eingeteilt und ein Messgerät pro Gruppe ausgegeben, um die Strahlenbelastung in der jeweiligen Arbeitsumgebung zu messen. Inzwischen habe Tepco wieder genügend Messgeräte, sodass jeder Arbeiter mit einem Gerät ausgestattet werden könne, hieß es. Die Gesellschaft habe erklärt, keinem Arbeiter ohne Messgerät den Zutritt zu erlauben.

Deutsche Pumpen, mit deren Hilfe Fukushima gekühlt werden soll, auf dem Weg zum Unglücksort.

Deutsche Pumpen, mit deren Hilfe Fukushima gekühlt werden soll, auf dem Weg zum Unglücksort.

(Foto: dapd)

Ingesamt sind etwa 500 Arbeiter von Tepco und Subunternehmen sowie Feuerwehrleute und Soldaten daran beteiligt, die Situation in dem Kraftwerk unter Kontrolle zu bekommen. Durch das Erdbeben und den Tsunami waren die Kühlsysteme ausgefallen, wodurch es zu Explosionen und Bränden in den überhitzten Reaktoren kam und radioaktive Strahlung austrat. Nach Angaben der Atomsicherheitsbehörde wurden bislang 21 Arbeiter einer Strahlung über 100 Millisievert ausgesetzt. Mehrere Arbeiter aus Fukushima mussten bereits wegen Verstrahlung ins Krankenhaus gebracht werden.

Sorgen in Deutschland

Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, äußerte die Sorge, ob die Bevölkerung in Japan ausreichend vorbereitet sei für eine immer noch mögliche Eskalation der Lage am Kernkraftwerk. Er frage sich, wie der Schutz der Bevölkerung gewährleistet werde, wenn es schlagartig zu einer weiteren Erhöhung der Freisetzung von Radioaktivität käme. "Die uns vorliegenden Messergebnisse zeigen, dass die unter anderem von der IAEA empfohlene Ausdehnung der Evakuierungsmaßnahmen schon aufgrund der nachgewiesenen Belastungen geboten ist", sagte König.

Fehler im Computerprogramm

Tepco hat inzwischen Fehler beim Messen von Radioaktivität am havarierten Atomkraftwerk eingeräumt. Das Computerprogramm, mit dem radioaktive Elemente analysiert und ihre Strahlung bestimmt werden, sei fehlerhaft. Das gab Tepco nach Angaben des Fernsehsender NHK bekannt. Zuvor hatten Experten kritisiert, die des radioaktiven Wassers im AKW seien zu hoch. Tepco-Vertreter und die Industrie-Sicherheitsbehörde sagten laut NHK, die zuvor veröffentlichten Strahlungswerte etwa der seltenen Elemente Tellurium-129 und Molybdän-99 könnten über den tatsächlich Leveln liegen. Am Vortag hatte es geheißen, dass im Wasser unter dem ein 10.000-fach erhöhter Wert von radioaktivem Jod gemessen wurde. Wie hoch die Belastung wirklich ist, wurde nicht bekannt. Tepco hatte bereits vorher fehlerhaft gemessen. Tepco steht seit Wochen wegen seiner Informationspolitik in der Kritik.

Mann dringt in Kraftwerksgelände ein

Am Donnerstag kam es an dem AKW zu einem bizarren Vorfall: Ein Mann versuchte, in die Anlage Fukushima 1 einzudringen. Weil er dort aber nach Angaben des Betreibers von Mitarbeitern abgehalten wurde, fuhr er zur Anlage Fukushima 2, durchbrach dort mit seinem Auto ein Tor und kurvte zehn Minuten auf dem Gelände herum, berichtete Kyodo. Niemand wurde verletzt, der 25-jährige Arbeitslose wurde festgenommen. Als Grund für die Irrfahrt gab er laut Polizei an: "Ich wollte mal auffallen."

Die Atomaufsichtsbehörde forderte Tepco mit Blick auf die Lagerung radioaktiver Materialien auf, für eine bessere Bewachung der Anlage zu sorgen. Fukushima 2 liegt etwa zwölf Kilometer vom AKW Fukushima 1 entfernt und gilt im Gegensatz zu diesem als stabil.

Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP

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