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Spanien: Was vom Bauboom übrig bleibt

Foto: Daniel Dal Zennaro/ dpa

Spanien Kicken gegen die Krise

Spanien erlebt einen Fußballtraum - doch der angeschlagenen Wirtschaft kann die Euphorie nicht helfen, denn die ökonomische Realität ist trist: Das Land kämpft mit den Folgen eines Wirtschaftsrausches, der auf Pump finanziert war. Jetzt droht vielen Familien, dass sie an ihren Schulden ersticken.

Gefeiert wurde bis spät in die Nacht, mit Feuerwerkskörpern, Flaggen, viel Bier, Lärm und Begeisterung. Das Hupkonzert auf den Straßen riss über Stunden nicht ab. Auch die Zeitungen, die an diesem Donnerstag am Kiosk liegen, haben oben auf den Titelseiten nur Platz für ein Thema: den fulminanten Sieg der spanischen Nationalelf gegen das deutsche Team. "Die Besten der Welt", steht auf einer, darunter fallen sich die spanischen Kicker außer sich vor Freude in die Arme.

Einer, der überhaupt keine Zeit hat, den Sieg im Halbfinale zu feiern, ist Fernando Herrero. Der hagere 35-Jährige mit den mittelblonden Haaren und den gebeugten Schultern schlägt sich gerade mit Schulden von zig Milliarden Euro herum.

Herrero ist der Generalsekretär des Verbandes der Kunden von Banken, Sparkassen und Versicherungen (Adicae). Eine Verbraucherschutzvereinigung, die seit dem Zusammenbruch des Immobiliensektors vor allem überschuldeten Eigenheimbesitzern beispringen muss. Und das bedeutet: Unmengen Arbeit. Hunderttausende Spanier könnten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen, sagt Herrero. 200.000 oder mehr Zwangsräumungen könnte es in diesem Jahr geben, fürchtet die Vereinigung. 2008 waren es 50.000.

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Presse nach dem Halbfinale: "Puyol hat die riesigen Deutschen fertiggemacht"

Der Wirtschaftswissenschaftler, der seit 1998 für die Organisation im Einsatz ist, sitzt in einer Madrider Bar, wie es sie Tausende gibt. Einfache Holzmöbel, am Tresen reihen sich unter einer langen Glasvorrichtung Tortillas, der typisch spanische Kartoffelsalat und andere Tapas aneinander.

Ein Fußball-Aufschwung? "Allenfalls sehr marginal"

Herrero beachtet den kleinen Teller mit Wurst nicht einmal, der ihm zum Bier gereicht wird. Und auch der Sieg im Fußball macht ihn nicht wirklich glücklich. "Das ist eine temporäre Erleichterung für die Leute", sagt er, während er zum dritten oder vierten Mal seinen Blackberry nach neuen Nachrichten checkt. Aber die vielen, die nicht wüssten, ob ihr Geld bis zum Ende des Monats reicht, werde selbst ein Sieg im Finale am Sonntag nicht retten.

Fußballtraum

Spanien

Der , den gerade lebt, mag eine Abwechslung sein, an der Unsicherheit im Land ändert er wenig. Selbst in der Halbzeitpause der Kickerpartie am Mittwochabend wurden Deutsche schon einmal gefragt, ob Spanien demnächst aus der Euro-Zone gedrängt werde.

Auf die Frage, ob ein Sieg im Finale auch die Wirtschaft anheizen könne, sagt der Madrider Analyst Jorge Lage von der Firma CM Capital Markets skeptisch: "Allenfalls sehr kurzfristig."

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Spanien im Freudentaumel: Olé, olé, olé, olé

Foto: DOMINIQUE FAGET/ AFP

Ein paar Tage wird die Euphorie reichen, weiter nicht, glauben auch andere Experten. Danach müsse das Land wieder mit seinen Problemen kämpfen. In Deutschland mögen die Schreckensgerüchte über Spanien verstummt sein, in Spanien selbst kämpfen Politiker und Bevölkerung immer noch mit der Krise. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 20 Prozent und trifft vor allem junge Leute. Bei den Banken drohen hohe Abschreibungen wegen notleidender Hypothekenkredite.

Und die Frage, wie man herauskommt aus dem Dilemma, ist längst nicht beantwortet.

"Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt"

Zunächst muss einmal das schwere Erbe der rauschenden Vergangenheit abgearbeitet werden. Seit die Immobilienblase geplatzt ist und Häuser und Wohnungen rasant an Wert verloren haben, kämpfen etwa Millionen Eigenheimbesitzer um ihre Existenz. Rund sechs bis acht Millionen Spanier haben sich für einen Immobilienkauf verschuldet, heißt es bei der Adicae. Das sind rund 20 Prozent der Bevölkerung. Die Familien, die für die Hypotheken von durchschnittlich 150.000 Euro mitleiden müssen, noch nicht mitgerechnet. Die Möglichkeit einer Privatinsolvenz gibt es nicht.

"Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt", sagt Verbraucherschützer Herrero nüchtern. Das ganze Land habe jahrelang ungezügelt konsumiert. "Wenn es irgendwo das neue iPhone gab oder die neueste Playstation, standen die Leute Schlange." So mancher Käufer habe sich um die Finanzierung seines Wohlstandes einfach keine Sorgen gemacht, "weil die Banken eine komplett unverantwortliche Kreditvergabe betrieben haben", sagt Herrero. Das Geld sei den Spaniern geradezu hinterhergeworfen worden. Mit dem Wohlwollen der Politik.

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Puyols Tor: Ein Kopfball ins deutsche Herz

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Die scheinbare Großzügigkeit der Finanzindustrie nahm teils absurde Formen an: Kreditkarten wurden Kunden ohne Anfrage zugeschickt. Mit einem Ausgaberahmen von mehreren tausend Euro. Der Kredit für ein neues Auto wurde über Jahrzehnte gestreckt - solange er nur zustande kam. Am wildesten ging es aber bei der Immobilienfinanzierung zu. Riesige Summen wurden praktisch ohne Sicherheit zugestanden. "Bei uns war mal eine 21-jährige Studentin, die einen Kredit von 180.000 Euro für ihre Wohnung aufgenommen hatte", sagt Herrero. "Eine junge Frau ohne jegliche Einkünfte. Absurd." Der Haken außerdem: "95 Prozent der Kredite wurden mit variablen Zinssätzen vergeben", sagt Herrero. Viele seien an den Geldmarktzins Euribor gebunden.

Eine ganze Weile ging das gut. Doch seit die Immobilienblase geplatzt ist, der Wirtschaft mit der Bauindustrie ihr Wachstumsmotor weggebrochen ist und so mancher hochverschuldete Häuserkäufer seine Arbeit verloren hat, ist das Schuldenchaos perfekt. Die enorme private Verschuldung ist eins der vielleicht größten Probleme des Landes. Außer Privathaushalten finanzierten vor allem Firmen der blühenden Bauindustrie viele Megaprojekte auf Pump, die sich mittlerweile als komplette Fehlinvestition erwiesen haben.

Vom Bankangestellten zum Barbetreiber

Nun freilich hat so manche Bank den Geldhahn zugedreht. Mit teils abstrusen Folgen.

Fran Ameijeiras ist einer von denen, die eigentlich als Hoffnungsträger im krisengeschüttelten Land gelten sollten. Gemeinsam mit seiner britischen Frau Ellie Baker betreibt er in der hippen Straße Almirante eine schicke Bar im englischen Stil. Rote Plüschmöbel, schwarze Ledersessel, in der neuen "Churchill Lounge" sind die Wände mit dunkelgrünem Holz getäfelt. Auf der Karte stehen Spezialitäten wie Kängurufleisch und unzählige Ginsorten.

Ameijeiras, der früher eine gute Stelle bei einer Bank hatte, ist 35, seine Frau 29. Sie haben einen zweijährigen Sohn und schuften in der Bar oft Tag und Nacht, vor allem während der Fußball-Weltmeisterschaft. Den Traum seiner Eltern lebt Ameijeiras nicht gerade. Sein Branchenwechsel sei für die Familie ein "Trauma" gewesen, erklärt der zurückhaltende Galicier mit dem kurzgeschorenen Haar und dem Dreitagebart. Den Barbetrieb gegen eine respektable Stelle in einer Bank eintauschen?

Doch für Ameijeiras ist die "Bristol Bar" ein Unternehmen - und zwar eines, das läuft. Das recht gehobene Publikum, das hier verkehrt, blieb von der Krise weitgehend verschont.

Banken sagen Unternehmern ab

Deshalb hat das junge Paar vor kurzem über einen zweiten Laden nachgedacht. "Wir haben bei sechs Banken angefragt", sagt Ameijeiras. Drei hätten nicht einmal geantwortet, zwei lehnten sofort ab. Am Ende starb das ganze Projekt. Ameijeiras guckt resigniert. Als seine Frau und er vor vier Jahren anfingen, "haben sie mir den Kredit quasi geschenkt", sagt er. Dabei habe er damals rein gar nichts vorzuweisen gehabt. Den Traum von der eigenen Ginproduktion ist das Paar dann von vorneherein in Großbritannien angegangen.

Auch wenn Ameijeiras es so nicht ausspricht - er hat offensichtlich das Gefühl, dass Unternehmern in Spanien das Leben schwergemacht wird. "Wenn du hier etwas aufmachst, kommt am nächsten Tag die Arbeitsinspektion, dann die Gesundheitsinspektion, dann jemand von der Stadt", sagt er nur.

Immerhin: Vom Fußballrausch profitiert Ameijeiras erst einmal. Denn auch wenn die Euphorie von kurzer Dauer sein mag - für ein paar Tage werden die Leute abends ein bisschen länger am Tresen bleiben. Und über die jüngsten Wundertaten ihrer Kicker philosophieren.