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Massenversteigerung Ein ganzes Haus für 2500 Dollar

Millionen US-Amerikaner können ihre Immobilienkredite nicht mehr bedienen. Ihre Häuser kommen in Massenversteigerungen unter den Hammer. Ein Besuch an der Resterampe des Wohlstands.
Von Karsten Lemm

So viele Schnäppchen! Wie soll man da Nein sagen? Immer wieder nickt der Mann in der ersten Reihe dem Auktionator zu, hebt kurz den Finger, signalisiert: Ja, das Haus will ich auch noch. Mindestens ein Dutzend hat er an diesem Morgen schon gekauft. So genau weiß er das nicht. "Ich zähle nicht mit", erklärt Odell Barnes mit einem Schulterzucken. "Die sagen mir am Ende schon, wie viel ich ausgegeben habe." Barnes, 56, ist ein gut gelaunter, rundlicher Mann mit hoher Stirn und weißem Vollbart, der Holzfällerhemd, Jeans und Westernstiefel trägt. Kein Immobilienmagnat in Schlips und Kragen, sondern einer, der sich darauf spezialisiert hat, Bruchbuden einzukaufen, so billig es geht, um sie anschließend - notdürftig repariert - wieder zu verscherbeln. Selten kann er so sehr aus dem Vollen schöpfen wie bei dieser Versteigerung in Dearborn bei Detroit, deshalb ist er extra aus South Carolina eingeflogen.

Von Freitag bis Sonntag werden im Ford Conference Center fast 700 Häuser verschleudert, viele von ihnen wie Ramsch vom Grabbeltisch: Hier ein Klinkerbau mit 175 Quadratmeter Wohnfläche für 5.000 Dollar (gut 3.500 Euro), dort ein Holzhaus mit zwei Stockwerken, Spitzgiebel und Veranda für 2.500 Dollar. "Das gibt meine Frau an einem Tag im Schönheitssalon aus", sagt Barnes und lacht. Alles, was hier unter den Hammer kommt, steht seit Monaten leer: Es sind Häuser, die sich die Banken nach Zwangsvollstreckungen zurückgeholt haben, weil die Eigentümer ihre Schulden nicht mehr zahlen konnten. Derzeit passiert das täglich vieltausendfach in den USA, immer öfter, immer schneller. Allein im August platzten fast 250.000 Hauskredite, 115 Prozent mehr als vor einem Jahr. Schuld sind in vielen Fällen Hypotheken mit veränderlichen Zinsen. Als Geld noch billig war, weil die Zentralbank in Washington die Wirtschaft in Schwung halten wollte, lockten die Banken mit Angeboten, bei denen deutschen Häuslebauern schwindlig würde: keine Anzahlung, Minimalzinsen für zwei oder drei Jahre, anschließend Anpassung an das aktuelle Zinsniveau.

Es könnte schwer werden, genug Käufer zu finden

Aber keine Sorge, hieß es, die Zinsen sind so niedrig, da kann nichts passieren. Doch die Zinsen stiegen. Nun stehen Millionen Amerikaner vor der Aussicht, dass sich ihre Hypothekenlast über Nacht verdoppelt. Etliche, die nicht zahlen können, müssen ausziehen und hinterlassen Häuser, die den Kreditgebern nichts als Ärger bereiten. "Steuern, Vandalismus, Versicherungsprämien - da kommt einiges an Kosten zusammen", sagt David Webb, Miteigentümer der Immobilienfirma Hudson & Marshall. "Wenn Sie auf Tausenden solcher Objekte sitzen, zählt jeder Tag. Deshalb sind die Banken bereit, sich notfalls auf ein schlechtes Geschäft einzulassen, um sie loszuwerden." Auch das erklärt, warum einige Häuser so billig sind. "Wenn Sie durch die Tür gehen, kann es sein, dass dahinter nicht viel mehr steht als die Wände", sagt Webb. "Wahrscheinlich fehlt der Teppich, die Rohre im Badezimmer und die Klimaanlage sind geklaut, und vielleicht steht das Haus in einer üblen Gegend mit viel Drogenhandel."Gut möglich, warnt er, dass das vermeintliche Schnäppchen in Wahrheit ein schlechter Deal ist.

Webb organisiert Massenauktionen im ganzen Land. Das Geschäft explodiert förmlich. "In diesem Jahr haben wir um 40 Prozent zugelegt, nächstes Jahr werden wir den Umsatz wohl noch mal verdoppeln", sagt Webb, dessen Firma an jedem Haus fünf Prozent Kommission verdient. Goldene Zeiten, solange die Hausschwemme nicht zur Flut wird. Wenn noch Hunderttausende weitere Gebäude auf den Markt kommen, wie Experten erwarten, könnte es "schwer werden, genug Käufer zu finden", fürchtet Webb - besonders in Krisenregionen wie Detroit. Dort hat die Autoindustrie Zehntausende entlassen, und wer noch Arbeit hat, verdient meist weniger als vor einigen Jahren. Dazu kommt eine überdurchschnittlich hohe Kriminalität. Downtown Detroit dient Hollywood gern als Kulisse für Großstadt-Apokalypsen. Alle Häuser können vor der Versteigerung besichtigt werden. Raúl Hernandez hat das nicht getan. Der mexikanische Einwanderer hat einfach zugeschlagen - das Angebot schien zu gut, und das Bild, das er von seiner Eroberung auf der Leinwand im Konferenzsaal sah, war unwiderstehlich: ein hübsches Holzhäuschen am Rande von Detroit, fünf Zimmer, zwei Bäder, davor ein Baum und ein kleiner Garten: das Ganze für 3.500 Dollar.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich so billig an ein Haus komme"

"Ich hätte nie gedacht, dass ich so billig an ein Haus komme", schwärmt Hernandez. Derzeit verdient er sein Geld als Lkw-Fahrer, doch er ist es leid, immerzu auf Achse zu sein. Ein paar Häuser besitzen, von der Miete leben, das wär’s. "Das ist seit Langem mein Traum", erklärt der zweifache Vater, "dann kann ich bei meiner Familie sein." So fiebert er nun dem nächsten Schnäppchen entgegen, während seine Töchter, sechs und zwei Jahre alt, um seine Füße herumtoben. 18.000 Dollar sind vom Budget noch übrig. "Vielleicht finde ich etwas", sagt er. Es gibt viele, die bei dieser Versteigerung das schnelle Glück suchen, und alle sind sicher, ein gutes Geschäft zu machen. Da ist das Paar, das hofft, den Backsteinbau, der nur 6.500 Dollar gekostet hat, in eine profitable Klinik für psychisch Kranke zu verwandeln. Da ist die rundliche Finanzberaterin, die gerade beim Wettbieten 1.500 Dollar mehr ausgegeben hat als geplant, aber trotzdem strahlt, als hätte sie den Jackpot geknackt. "Es ist ein wirklich schönes Grundstück, und ich hatte schon meiner Schwägerin versprochen, dass sie dort wohnen kann", sagt sie. "

Da konnte ich ja schlecht mit leeren Händen nach Hause kommen." Und da ist der gebürtige Inder Gursharan Chopra, der einst in Stuttgart Computer programmierte und jetzt 30.000 Dollar für einen unscheinbaren Bretter- Bungalow hingelegt hat, weil er weiß, "dass Häuser in dieser Gegend normalerweise 50.000 bis 60.000 kosten". Wenn er nun 5.000 Dollar in die Renovierung steckt und das Haus für, sagen wir, 45.000 Dollar wieder verkaufen kann, "dann mache ich am Ende immer noch 10.000 Dollar Gewinn", rechnet der 67-Jährige. "So stelle ich mir das vor."Profis wissen jedoch, dass die Atmosphäre bei dieser Veranstaltung aus gutem Grund an Las Vegas erinnert. "Es ist ein Glücksspiel", sagt Kevin Knoll, ein Immobilienmakler aus dem Städtchen Grand Rapids in Michigan, drei Autostunden westlich von Detroit. Ob die Häuser etwas taugen, ob man sie zu dem erhofften Preis wieder loswird, ob man sie überhaupt gegen andere Bieter ergattern kann - reine Glückssache. Dazu die Atmosphäre eines drittrangigen Casinos. "Sie können gar nicht verlieren!", ruft der Auktionator in den Saal, unterstützt von einem Hammondorgler und Helfern, die zwischen den Stuhlreihen Stimmung machen.

"Dies ist eine großartige Gegend zum Geld verdienen"

Sie gestikulieren, schreien dem Auktionator Gebote zu, spielen Aufheizer für etwa 250 potenzielle Hauskäufer, die an diesem Samstagmorgen zu Gewinnern werden wollen. So wie Odell Barnes. Er kauft überall im Land billige Häuser, aber nirgendwo so viele wie in der einst stolzen, nun heruntergekommenen Industriemetropole im Mittleren Westen. "Dies ist eine großartige Gegend zum Geldverdienen", verkündet er mit breitem Südstaatenakzent. "Weil hier sonst keiner investieren will, finden Sie Häuser zu diesen Spottpreisen." Er verkauft sie dann oft an Leute, die keine Hypothek mehr bekommen, weil ihnen die Kreditwürdigkeit nach einem gescheiterten Hauskauf fehlt. So funktioniert Kapitalismus pur. Die Hausverkäufer arbeiten mit Gewinnmargen von 30 Prozent und mehr. Die Kalkulation von Odell Barnes funktioniert so: Er schaut, wie hoch die ortsüblichen Mieten sind, und verlangt Monatsraten, die darunter liegen. "Auch die Armen müssen irgendwo leben, und sie wollen ein Haus besitzen", erklärt Barnes.

Er macht es ihnen leicht, und sie machen ihn dafür reich. "Ich verlange nur 500 Dollar als Anzahlung, und Sie glauben gar nicht, wie dankbar die Leute sind und mit welcher Begeisterung sie die Häuser selbst in Schuss bringen." Das erlaubt es ihm, heruntergekommene Gebäude für wenig Geld notdürftig bewohnbar zu machen und schnell wieder auf den Markt zu werfen. "Häuser, die ich hier für 2.000 oder 3.000 Dollar bekomme, verkaufe ich anschließend für 4.000 oder 5.000", sagt Barnes. Stück für Stück, Rate für Rate - und bei 2000 bis 3.000 Häusern, die er so im Jahr umschlägt, bleibt ein stattlicher Gewinn hängen. Genug, um Barnes glücklich und tief religiös zu machen. "Ich bin jemand, der Schwierigkeiten hätte, bei Wal-Mart einen Job zu bekommen", erzählt der Immobilienmogul, der langsam spricht und kein Hehl daraus macht, nur mühsam lesen und schreiben zu können. "Mein Vater war Kellner, ich habe lange als Hausmeister gearbeitet - und doch lebe ich heute wie ein König." Sein Anwesen in South Carolina hat einen See und einen Rodeo-Ring, er besitzt eine Villa am Strand und ein Haus in den Bergen, und zu den meisten Terminen fliegt er mit seinem Privatflugzeug Seine Frau, die vierte, ist jung und hübsch.

"Wir Amerikaner sind schlecht im Maßhalten"

"Wie soll man da nicht an Gott glauben?", fragt Barnes und lacht. Bauernschläue ist vielleicht auch keine schlechte Erklärung für seinen Erfolg - und die Tatsache, dass viele seiner Landsleute den Hals nicht voll bekommen konnten. "Wir Amerikaner sind schlecht im Maßhalten", sagt Barnes. "Wir haben keine Selbstdisziplin." Ihm kann das zwar nur recht sein, aber dem Land, glaubt er, ginge es besser, wenn es verboten wäre, Häuser zu beleihen, um Konsum zu finanzieren. "Leben auf Pump sorgt für trügerischen Wohlstand", sagt Barnes. Man sieht das am zweiten Tag, an dem auch Häuser in guten Lagen und Villen, einst Millionen teuer, unter den Hammer kommen. Ein Prachtbau geht für 190.000 Dollar an eine Unternehmerin, die damit ihrer Mutter eine Freude machen möchte. Odell Barnes ist längst gegangen - die Schnäppchen sind weg, es gibt für ihn nichts mehr zu holen. "Ich kaufe lieber 200 Häuser für 1000 Dollar als eines für 200.000", erklärt er am nächsten Morgen. Da weiß er auch endlich, wie viele Häuser er bislang ersteigert hat: "80 am ersten Tag, 50 am zweiten." Er zögert. "Oder irgendwas so um den Dreh."

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