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Deutschland Chancengleichheit

Herkunft von Bewerbern soll geheim bleiben

Anonyme Bewerbungen Anonyme Bewerbungen
Das Ziel anonymer Bewerbungen: Alle sollen die gleiche Chance haben, egal ob Frau oder Mann und unabhängig der Herkunft
Quelle: dpa
Das Familienministerium akzeptiert nur noch anonyme Bewerbungen. Unternehmen sind skeptisch und fürchten höhere Kosten.

Bewerbungsfotos sind teuer, immerhin lebt mancher Fotograf gut von ihnen. Wenn allerdings der Plan des Bundesfamilienministeriums Schule macht, geht bald ein ganzer Berufszweig unter. Ministerin Kristina Schröder will Bewerbern auf Stellen in ihrem Haus nicht mehr ins Gesicht blicken, zumindest nicht sofort. Die Lebensläufe und Anschreiben sollen anonym eingereicht werden – ohne Name, Alter, Geschlecht, Behinderungen, Herkunft und natürlich ohne Bild.

Ihr Ziel ist, Mesut die gleichen Chancen zu geben wie Michael, dem Rollstuhlfahrer die gleichen wie dem Langstreckenläufer, Frauen gegenüber Männern nicht zu benachteiligen – oder umgekehrt. Die Ministerin nimmt an einem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes teil. Neben Schröder sind das Integrationsministerium von Nordrhein-Westfalen und fünf Firmen, darunter drei Dax-Konzerne, deren Namen noch nicht bekannt sind, dabei. Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, ist angetan: „Das entspricht dem zentralen Grundsatz des Datenschutzes: Datensparsamkeit.“

50 Unternehmen beteiligen sich an dem Versuch

Das Vorbild ist Frankreich. Dort nehmen 50 Unternehmen an einem entsprechenden Versuch teil. Präsident Nicolas Sarkozy unterstützt die Kampagne ausdrücklich. Erreichen Bewerbungen mit Fotos oder Namen die Firmen, werden sie anonymisiert, bevor sich Personalleiter darüber beugen. Was viele nicht wissen, bereits jetzt dürfen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auch laut deutschem Recht nicht mehr auf Fotos bestehen. Die meisten Job-Suchenden schicken sie aber selbstverständlich mit.

Der Wirtschaftspsychologe Jürgen Deller von der Leuphana Universität Lüneburg hält das Weglassen persönlicher Daten für sinnvoll. „So stehen die für die Auswahl wichtigen Kompetenzen und die Leistungsbereitschaft im Vordergrund, persönliche Angaben können die Beurteilung dieser entscheidenden Kriterien verfälschen“, sagt Deller. Studien hätten etwa gezeigt, dass es keinen Zusammenhang zwischen Alter und Leistung gebe.

Anonyme Bewerbungen führen zu hohem Verwaltungsaufwand

Dagegen glaubt der Arbeitgeberverband BDA, dass sich die Firmen mit anonymen Bewerbungen keinen Gefallen tun: „Die Forderung danach konterkariert die Bemühungen der Unternehmen um Vielfalt in den Belegschaften.“ So äußern sich auch manche Unternehmen. „Anonymisierte Bewerbungen sind für den Bayer-Konzern keine praktikable Lösung, um etwa die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt wirksam zu fördern“, sagte Gabriele Liebmann-El Badry, Sprecherin von Bayer Schering Pharma WELT ONLINE. Ein vollständig anonymisiertes Bewerbungsverfahren würde lediglich zu einem deutlich höheren Verwaltungsaufwand mit entsprechenden Kosten führen.

Verschärft sich der Fachkräftemangel weiter, wird das geplante Instrument für mehr Gerechtigkeit ohnehin überflüssig, glaubt Jürgen Deller. „Der Druck ist bereits jetzt zu spüren, die Unternehmen haben nicht das Problem, dass sie aus zu vielen geeigneten Bewerbern wählen müssen. Es gibt schon heute viele Stellen, die nicht besetzt werden können. Qualifizierte Frauen und Ältere haben dadurch bessere Chancen.“

Nun ist der Glaube an die Regelkräfte des Marktes noch kein echtes Argument gegen die anonymisierte Bewerbung. Allerdings, gibt es so etwas überhaupt, die entpersonalisierte Bewerbung? „Alles ist mit Wertigkeiten belegt, die Universität, der Name der Schule, musische oder sportliche Betätigung“, sagt Deller. Denkt man das Projekt also zu Ende, so würde eine solche Bewerbung nur noch ganz wenige Angaben enthalten. Jeder müsste zum Bewerbungsgespräch und dort zeigt sich dann in jedem Fall, wer eine gerade oder schiefe Nase hat.

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