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FDP bekämpft mit einer Grundsatzdebatte die Krise

"Freiheitskongress" der FDP "Freiheitskongress" der FDP
Parteichef Guido Westerwelle und sein generalsekretär Christian Lindner beim "Freiheitskongress" der FDP
Quelle: dpa
Am Montag stoßen die Liberalen die Debatte über ihr neues Grundsatzprogramm an. Christian Lindner ist immer mehr der Star der Partei.

Guido Westerwelle dürfte geschluckt und gestaunt haben, was er sich da am Samstagmittag alles anhören muss. Die FDP hat zu einem „Freiheitskongress“ geladen. Ihr Vorsitzender sitzt in der ersten Reihe. Kurz nach Zwölf beginnt eine junge Unternehmerin, den Liberalen die Leviten zu lesen. Marie-Christine Ostermann liefert eine schnörkellose und spritzige Analyse des Absturzes der FDP von 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl vor einem Jahr auf fünf Prozent in den Umfragen heute. Die Politik sei eben, wie die Wirtschaft, „unbarmherzig, aber gerecht“, donnert Ostermann in das Berliner Congress Centrum.

Ostermann setzt ihren Vortrag fort mit Hinweisen wie: „Die Verluste kommen daher, dass die FDP bis dato unter ihren Versprechungen zurückbleibt.“ Sie fordert, die FDP müsse „weniger glatt, unnahbar und rational werden“. Auch mit indirekter Kritik an dem Parteichef geizt sie nicht. Wen sonst sollte sie meinen, wenn sie bemängelt, die FDP habe es nach der Wahl versäumt, das „Bundesfinanzministerium zu übernehmen“?

Lauten Beifall unter den rund 800 Zuhörern gibt es dafür. Eine Prise Putsch liegt in der Luft. Was die forsche Frau Ostermann aber nicht mäßigt. Die FDP benötige Persönlichkeiten, mit denen sich die Menschen identifizieren können – und dafür weniger „Profilierungszwang“.

Liberale wollen neues Grundsatzprogramm erstellen

Ihre Debatte um ein neues Grundsatzprogramm will die FDP am Montag anstoßen. Wer ihren Kongress am Samstag erlebt hat, kann ihr nicht vorwerfen, die eigene Lage zu beschönigen. Die Liberalen sagen, was ist. Auch wenn all das nicht schön ist. Ein derart frecher, frischer „Impuls“ wie der von Marie-Christine Ostermann ist bei Veranstaltungen von CDU, CSU oder SPD unerwünscht, ja undenkbar.

Diese wach rüttelnde Debatte geht auf den Generalsekretär der Liberalen zurück, auf Christian Lindner. Er versteht es, über den Tag hinaus zu denken und seiner im Regierungs-Alltagsgeschäft ziemlich stolpernden Partei einen programmatischen, ja philosophischen Überbau zu verpassen.

Ungleichheit sei nicht per se illegitim, sagt Lindner während seiner Begrüßungsrede. Er geht gar noch einen Schritt weiter und nennt legitime Ungleichheit die „Hefe im Teig der Marktgesellschaft“. Sie garantiere Vielfalt und Dynamik. Lindner will die FDP stärker als Partei der Freiheit positionieren. Er verzichtet dabei auf die üblichen Floskeln, die Hans-Dietrich Genscher – entgegen aller Verklärung – einst so bedeutungsschwanger verbreitete.

Lindner buchstabiert vielmehr durch, was die Freiheit konkret bedeutet. Im Wirtschafts- und Sozialsystem. In der Inneren Sicherheit. Für das Internet. Bei großen Infrastrukturprojekte (gemeint ist das Projekt Stuttgart 21), wo es „gerade in diesen Tagen“ um eine Abwägung von Risiken und Gefährdungen gehe. Die Grünen, die längst ins Milieu der FDP eindringen, attackiert Lindner als „falsche Freunde der Freiheit“. Da nickt Westerwelle heftig und klatscht.

Lindner erobert die Herzen der verzagten Liberalen

Westerwelle hat den Bundestagsneuling Lindner vor einem Jahr zum Generalsekretär berufen. Heute gilt dieser bereits als dessen möglicher Nachfolger. Was Lindner natürlich bestreitet, und es doch vermeidet, Ergebenheitsadressen an den Vorsitzenden zu formulieren. Mit seiner erfrischend jugendlichen Art erobert der 31-jährige Lindner an diesem Samstag die Herzen der verzagten liberalen Gemeinde. Und wenn er ankündigt, die „Weisheit der Vielen“ für die Programmdebatte nutzen zu wollen, erscheint das glaubwürdig.

Die Unterschiede in Rhetorik und Semantik zwischen Lindner und Westerwelle sind spürbar. Wo der Außenminister gern gegen „Multikulti“ zu Felde zieht, verwendet Lindner das vom Bundespräsidenten ohne Quellenangabe zitierte Udo-Lindenberg-Wort der „bunten Republik“. Ein Zufall ist das kaum.

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Im Berliner Congress Centrum grenzen Lindner und Westerwelle ihre Zuständigkeiten geschickt ab. Lindner widmet sich Programm und Innenpolitik. Der Außenminister spricht, man glaubt es kaum, zeitweise gar über Außenpolitik. Westerwelle tut dies aber, wie üblich, überzogen, indem er auf das geteilte Korea eingeht, die Vereinten Nationen, Lateinamerika, den indischen Subkontinent, schließlich Kanada und Neuseeland. „Man kann viel lernen, wenn man in die Welt schaut“, lässt Westerwelle die Zuhörer wissen – und erfreut sie mit der Erkenntnis: „Das Kooperationsmodell ist dem Konfrontationsmodell überlegen.“ Nun ja.

Wie schwierig es indes ist, Freiheit für das 21. Jahrhundert zu definieren, zeigen die „Impulse“ aus der Wissenschaft. Der Philosoph David Richard Precht etwa verlangt einen „starken Staat, der starke Ordnungspolitik macht“. Und erntet dafür Applaus bei der FDP. Der Erziehungswissenschaftler Horst Opaschowski beschwört den Wert der Familie, einen „notwendigen sozialen Zusammenhalt“ und verlangt, dass Lasten „von allen gemeinsam getragen werden“. Auch dafür gibt es Beifall. Die Programmdebatte der Liberalen verspricht, spannend zu werden. Vielleicht wird sie gar zu einer Frischzellenkur einer inhaltlich ziemlich zermürbten, verunsicherten Partei.

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