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Wetterdatenanbieter Das Geschäft von Kachelmanns Kollegen

Die Aufhebung des Haftbefehls gegen Jörg Kachelmann sorgt beim Datenanbieter Meteomedia für Erleichterung. Doch die Geschäfte laufen auch ohne den einstigen Frontmann rund. Die Bedeutung der Wetterdienste ist für Unternehmen enorm gestiegen, Kunden kommen aus der Logistik-, Agrar- und Touristikbranche sowie der Finanzindustrie. Es ist ein Nischenmarkt mit großem Wachstumspotenzial.
Von Ina Kirsch
Wetter als Risikofaktor: Landwirte fürchten heiße Sommer ebenso wie heftige Unwetter. Doch sie sind längst nicht die einzigen Kunden der Wetterdatenanbieter

Wetter als Risikofaktor: Landwirte fürchten heiße Sommer ebenso wie heftige Unwetter. Doch sie sind längst nicht die einzigen Kunden der Wetterdatenanbieter

Foto: Z1003 Jens Büttner/ dpa

Hamburg - Norbert Steffen ist ein bisschen genervt. Der Geschäftsführer von Meteomedia, des von Jörg Kachelmann 1990 gegründeten Wetterdienstes, schätzt die Verdienste des Firmengründers und TV-Moderators hoch ein. Er spricht auch gerne darüber, wie der beliebte Schweizer die Wetterpräsentation für das Fernsehen praktisch neu erfunden hat. Er ist es nur leid, dass die gesamte Unternehmensgruppe dieser Tage auf das einstige Aushängeschild Kachelmann reduziert wird.

"Wir sind ein gutes Team mit vielen herausragenden Talenten", sagt Steffen. Jeder Mitarbeiter mache seine Arbeit und für das Management gebe es auch im Kachelmann-Imperium wie in jedem anderen Unternehmen Vertretungsregeln für den Fall, dass jemand ausfällt. Ob durch Krankheit oder wegen Untersuchungshaft ist da wohl zunächst egal.

Das Unternehmen funktioniert also, wenn auch mit Hindernissen: Aktionärstreffen im Knast, Millionengewinne, über deren Verwendung entschieden werden muss, sowie Mitarbeiter, die sich gleichermaßen um ihren Chef wie auch um die eigene berufliche Perspektive sorgen. Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen machen klar: Die Kachelmann-Tragödie betrifft nicht nur eine Einpersonenveranstaltung, sie trifft eine in Deutschland, der Schweiz, Kanada und den USA tätige Unternehmensgruppe mit 100 Mitarbeitern und sieben Aktionären, die darunter leiden, dass man ihnen ohne ihr Zugpferd wenig zutraut.

Knapp 20 private Anbieter in Deutschland

Was sich außerdem gezeigt hat: Wetter ist ein Geschäft. Bisher fand es als Wirtschaftssegment in der Öffentlichkeit wenig Beachtung. Nicht mal die großen Unternehmensberatungen wie beispielsweise McKinsey, Roland Berger oder Deloitte haben die Branche im Visier. "Wir tummeln uns auf einem absoluten Nischenmarkt", sagt dann auch Dennis Schulze, Vorstand des Verbands Deutscher Wetterdienstleister (VDW) und Geschäftsführer der Meteogroup.

Knapp 20 private Wetterdatenanbieter gibt es in Deutschland. Sie erwirtschaften mit 200 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von circa 30 Millionen Euro und haben vom Einzelunternehmer, der regional einen einzigen Radiosender beliefert über diverse Internetdienste bis hin zu international agierenden Full-Service-Anbietern viele Facetten - und die verschiedensten Kunden.

Strom- und Gaskonzerne interessieren sich für Temperaturen

Stromkonzerne wollen beispielsweise möglichst genau wissen, wie sich das Wetter im Jahresverlauf an bestimmten Orten entwickelt. "Ob Gas oder Strom, unser Absatz hängt zum Beispiel mit der Temperatur zusammen", sagt etwa Robin Girmes, Meteorologe und Wetterderivatehändler der RWE; das Essener Unternehmen zählt zu den größten Energiehandelshäusern Europas. Und die Folgen davon schlagen sich selbst kräftig in den Bilanzen der Energieriesen insgesamt nieder.

Denn ob RWE , Eon  oder Vattenfall Europe : Die Energieversorger kaufen oftmals im Herbst beispielsweise Erdgas ein und speichern es für den erwarteten Verbrauch. Steigt der aber, weil etwa der Winter kälter wird, als erwartet, müssen sie Gas zu den dann eklatant hohen Preisen nachkaufen. Und dieses Risiko wollen sie mit guten Wetterdaten natürlich möglichst vermeiden.

"Man kann zu 95 Prozent genau mathematisch erfassen, welches Wetter welchen wirtschaftlichen Schaden anrichtet", sagt Hans Esser, Chef der Grevenbroicher Firma Finanztrainer.com, die seit 1999 die entsprechenden Finanzprodukte anbietet, sogenannte Wetterderivate. Zu seinen Beratungskunden zählte beispielsweise auch die Handelsabteilung der Kölner Stadtwerke, die heute unter dem Namen Rheinenergie firmieren.

Wer alles wissen, woher der Wind weht

Umsatzwachstum: Wer alles wissen will, wie der Wind weht

Die Stromkonzerne wollen aber beispielsweise auch wissen, wie der Wind weht, wie viele Sonnenstunden zu erwarten sind, und ob sie weitere Kraftwerke hinzuschalten müssen. "Die Förderung der erneuerbaren Energien hat unserer Branche in den vergangenen zehn Jahren einen enormen Schub verliehen", sagt Schulze. Und in seiner Eigenschaft als Chef der Meteogroup fügt er hinzu: "Wir berechnen nicht nur die Windstärke in einer Region, sondern sagen aufgrund unserer Expertise genaue Energiewerte für einzelne Windparks vorher.

Will sagen: Der Mehrwert privater Wetterdienstleister liegt in der Passgenauigkeit und Qualität ihrer Angaben, sowie in der Flexibilität und Schnelligkeit, mit der sie auf Kundenanfragen reagieren.

Die privaten Wetterdienste beliefern Versicherungen, Logistikunternehmen, die Touristikbranche, sogar Finanzdienstleister, die exakte Prognosen für die Konstruktion von Wetterderivaten brauchen und natürlich beliefern sie die Agrarwirtschaft.

Laut einer Umfrage der Chicagoer Mercantile Exchange (CME), an der bestimmte Wetterderivate gehandelt werden, bezeichneten 21 Prozent der befragten Unternehmen die Ertragslage ihrer Firmen als sehr stark wetterabhängig. Ein milder, schneearmer Winter verhagelt sowohl dem Heizöllieferanten als auch dem Skiausrüster das Geschäft. Ein verregnetes Wochenende lässt den erwarteten Gewinn eines Open-Air-Veranstalters schnell in einen Verlust umschlagen.

Die lockere und anschauliche Wetterpräsentation für das Fernsehen, wie sie der Wetterdatenanbieter Kachelmann prägte, ist da dann auch nur ein Verwendungsbeispiel. Wenn auch für Meteomedia noch ein sehr wesentliches: "Der Medienanteil am Gesamtumsatz beträgt rund 50 Prozent", verrät Kachelmanns Geschäftsführer Steffen.

Es ist ein Markt mit enormem Potenzial. "Im Bereich unserer Industriekunden erwarten wir weiterhin ein starkes Wachstum", sagt Steffen. Als Wachstumstreiber nennt er die zunehmende Liberalisierung der europäischen Märkte besonders im Energiebereich.

Ob Steffen beim Ausschöpfen solcher Potenziale auf die tatkräftige Unterstützung von Firmengründer Kachelmann zählen kann, wird die Hauptverhandlung im September zeigen. Bis dahin darf Kachelmann nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft zumindest daheim auf die Verhandlung warten. Meteomedia hofft, dass Jörg Kachelmann seine Unschuld beweisen kann, hat für den Fall der Fälle aber "einen Plan B" in der Schublade.