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Was die Herman-Schlacht über Deutschland sagt

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Man muss Eva Herman dankbar sein. Sie hat erreicht, dass ein Streit, der bisher vor allem die Elite beschäftigte, nun auch im Unterhaltungsfernsehen und auf dem Boulevard tobt. Es geht um Tabus unserer Geschichte. Es geht um das, was viele denken, aber nur wenige zu sagen trauen. Da ist es billig, sich über das Niveau der Beteiligten zu mokieren. In ihrer hilflosen Verdruckstheit verkörpern Eva Herman und Johannes B. Kerner Deutschland im Jahre 62 nach Ende des Dritten Reichs.

Eva Herman hat das Recht, ernst genommen zu werden. Sie einfach als dumm abzutun heißt eine hochprofessionelle Medienperson und Bestsellerautorin zu unterschätzen. Herman hat eine Botschaft. Sie lautet: Die 68er haben die Deutungshoheit über Hitler gewonnen. Sie benutzen den Nationalsozialismus ("die braune Keule", wie Eva Herman sagt), um alles Konservative schlecht zu machen - zum Beispiel das Bild der Frau als Mutter.

Bloß weil auch die Nazis die Mutterschaft förderten, so Herman, könne man doch nicht das Lob der Mutterschaft als nationalsozialistisch abtun. Genauso könne man Autobahnen ablehnen, weil sie von den Nazis gebaut wurden.

Zwei Fragen stellen sich hier. Erstens: Warum muss eine Autorin, die angeblich nur sagen will, dass die Frauenemanzipation ein Irrweg war, partout den Nationalsozialismus ins Spiel bringen? In anderen Ländern, wo es kein Naziregime gab und kein "68", sind ebenso viele Frauen berufstätig wie in Deutschland - in der Regel sogar mehr. Es ist ja gar nicht so, dass Deutschlands Frauen besonders radikal emanzipiert wären. Alle Vergleiche beweisen eher das Gegenteil. Der Verdacht liegt nahe, dass Eva Herman ganz bewusst mit dem Feuer spielt.

Und zweitens: Warum gehen jene, die sich - zu Recht - von diesem Spiel mit Tabus provoziert fühlen, dann aber so ungeschickt damit um? Wieso sind sie so sprachlos? Warum gelingt es der Provokateurin, sich als Opfer darzustellen?

Die Antwort liegt in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik. Mit der Niederlage mutierten die Leute nicht plötzlich alle zu Demokraten. Auf die Frage: "Würden Sie sagen, dass Hitler ohne den Krieg einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen wäre?" antworteten 1955 noch 48 Prozent der Westdeutschen mit Ja.

Und man muss festhalten: Wenn man nicht Jude, Zigeuner, schwul, Kommunist, Zeuge Jehovas, Antifaschist oder unangepasst war, dann war der Nationalsozialismus zumindest bis zum Kriegsausbruch 1939 eine kommode Diktatur. Es gab Arbeit und Brot, Ordnung und Kraft durch Freude, Volkswagen und Volksgemeinschaft. Die Alliierten rangen das Regime in fünf Jahren militärisch nieder. Es ist bis heute nicht ideologisch erledigt.

Unter Willy Brandt und seinen Nachfolgern im Kanzleramt wurde die Bundesrepublik westlicher. Die Elite übernahm auch die westliche Sicht auf den Nationalsozialismus: 1985 erklärte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der 8. Mai 1945 sei auch für die Deutschen ein Tag der Befreiung gewesen.

Der Christdemokrat hatte recht - jedenfalls, was Westdeutschland betraf. Aber damit hätte die Diskussion eröffnet, nicht für beendet erklärt werden müssen. Denn unter Kanzler Helmut Kohl hatte ein Modernisierungsschub eingesetzt, der relativ wenig mit 1968, sehr viel aber mit Marktwirtschaft und Globalisierung zu tun hatte. Kohl geißelte den Wohlfahrtsstaat als "Freizeitpark". Wem Leistungsdruck und Individualisierung Angst machte, dem konnte die Volksgemeinschaft erstrebenswert erscheinen.

Aber das zu sagen war tabu. Das Tabu entband die Elite von der Pflicht, zu erklären, warum gerade die so anziehenden Seiten des Nationalsozialismus - die Unterordnung des Einzelnen unter das Kollektiv - so gefährlich waren. Das Tabu erzeugte aber auch die Lust am Tabubruch. Politiker und Schriftsteller spielten mit der Provokation, um ihren Marktwert zu erhöhen. Und nun ist es Eva Herman. Man kann sie aus einer Talkrunde hinausschicken, aus den Köpfen bekommt man sie nur mit Argumenten.

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